INNA MÖNCH | VLADIMIR ARCYBASOV | Hausärztliche Gemeinschaftspraxis

25.02.2022

Vom blauen Licht zum weißen Rauschen

 

Turbulente Zeiten. Zunehmende Belastung am Arbeitsplatz, nervenaufreibende Tests, Angst vor einer COVID-19-Infektion – all das ist recht belastend und erzeugt Unzufriedenheit, Zukunftsängste sowie Sorgen um die eigene Familie. Mittlerweile leiden wohl mehr Menschen an einer Schlafstörung und deprimierter Stimmungslage als an einer Erkältung. Laut Statistik quält sich jeder Dritte in Europa mit einer Schlafstörung. Nun stellt sich die Frage: Ist die Schlafstörung die Folge einer deprimierten Stimmungslage oder werden wir depressiv aufgrund des Schlafmangels? Vielleicht brauchen wir in dieser anstrengenden Zeit keine Antidepressiva und sollten eher versuchen, unseren Schlaf wieder zurückzuerobern? Spannende Fragen, die wir in diesem Blogbeitrag unter die Lupe nehmen werden.

Schlafdefizit – eine endlose Schleife

Schlafdefizit führt zu einer nachlassenden physischen und psychischen Belastbarkeit. Das ist Fakt. Die Folge sind Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, anhaltende Müdigkeit, Erschöpfung, Gefühlsschwankungen und Reizbarkeit, die zu den unnötigen Streitereien bis zum aggressiven Verhalten führen kann. Zudem wird eine deprimierte Stimmungslage durch Angst vor beruflichen Veränderungen sowie finanziellen Sorgen gefördert - nicht mehr weit bis zur Depression. 

Durch Schlafmangel sinkt außerdem die Konzentration von Leptin (Sättigungshormon) und gleichzeitig steigt der Spiegel von Ghrelin (Hungerhormon). Dies führt zu einer Gewichtszunahme, später zu Rücken- und Gelenkproblemen, Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Diabetes. Hinzu kommt die psychische Belastung, die durch die körperliche Veränderung hervorgerufen wird. Ein Teufelskreis, aus dem man nur schwer herauskommt.

Die Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen auch, dass die Immunabwehr bedingt durch Schlafmangel deutlich nachlässt. Rezidivierende Infekte und unzählige Krankmeldungen sind die Folge. Und im Krankenstand erwarten uns wieder vier Wände. Der Berg an benutzen Taschentüchern wächst minütlich. Der unzufriedene Arbeitgeber und die unerledigten Aufgaben machen die Situation nicht besser. Eine endlose Schleife.

Schlafqualität – der Grundstein des Wohlbefindens 

Acht Stunden Schlaf – so lautet die bekannte Empfehlung der Mediziner. Und wahrscheinlich schaffen das auch viele von uns. Dabei ist jedoch nicht nur die Dauer, sondern auch die Schlafqualität entscheidend. Wenn Sie sich nach acht Stunden Schlaf nicht erholt fühlen und das Drücken der Schlummertaste vom Wecker zum Automatismus wird, dann ist Zeit zu handeln.

Viele Patienten berichten, dass sie sich nach zehn Stunden Schlaf immer noch unausgeschlafen fühlen. An dieser Stelle müssen wir anmerken, dass auch zu viel Schlaf zur Müdigkeit führen kann. In dem Fall werden die benötigten acht Stunden Schlaf über zehn Stunden gestreckt. Dies führt dazu, dass der Schlaf oberflächlicher und damit weniger qualitativ ist. Goldene Regel: Beurteilen Sie Ihre Schlafqualität und Ihre individuelle Schlafdauer nach Ihrem Wohlbefinden. Sie sollten sich ausgeschlafen und munter fühlen. Eine schlaflose Nacht zwischendurch ist kein Problem. Das können Sie leicht in den nächsten Tagen aufholen. Wenn Sie jedoch mindestens dreimal pro Woche über einen Monat lang schlecht schlafen können, sprechen die Mediziner von einer Schlafstörung. 

Welche Rolle spielt der Tag-Nacht-Rhythmus?

Melatonin – das wohl bekannteste Schlafhormon für einen guten Schlaf. Die Dunkelheit der Nacht hilft uns, die Konzentration des Melatonins im Körper zu erhöhen. Dieser Mechanismus hat sich über viele Jahre der Evolution entwickelt. Nun kommen der Fernseher, das Smartphone und das Tablet ins Spiel. Und so greifen viele von uns in den Abendstunden zu den modernen Lichtquellen. Dabei entsteht das Problem, dass das blaue Licht mit mehr als 1500 Lux, welches beispielsweise jedes Smartphone ausstrahlt, die Produktion von Melatonin blockiert. Melatonin-Spiegel bleibt auf dem Tagesniveau – ein selbst geschaffenes Problem. Unser Körper denkt, dass es Tag ist, auch wenn draußen schon längst die Sterne funkeln. Wir liegen im Bett – 30 Minuten, 40 Minuten, eine Stunde. Langsam quälen die Gedanken „Wenn ich jetzt nicht einschlafe, dann ist der morgige Tag so gut wie gelaufen“. Später überrollt uns die Angst vor dem nächtlichen Wachbleiben. Kommt das Ihnen bekannt vor?

In den USA wurde in den 60er Jahren ein interessantes Experiment durchgeführt. 100 Menschen sollten die erste Nacht gewöhnlich schlafen. Dabei haben die Wissenschaftler die durchschnittliche Einschlafzeit der Probanden ermittelt. Nach der ersten Nacht wurden für diejenigen, die schneller als in der ersten Nacht einschlafen, 100 Dollar versprochen. Die durchschnittliche Einschlafzeit hat sich in der zweiten Nacht verdreifacht. Die intensiven Gedanken, die Angst vor dem „nicht einschlafen können“, die Ausschüttung von Adrenalin – das sind die wahren Schlafkiller.

Und was machen wir? Wir nehmen all diese Schlafkiller, alle Probleme des Tages mit ins Bett. Wir programmieren unsere schlaflosen Nächte selbst. Im Umkehrschluss heißt es aber auch, dass wir auch diejenigen sind, die die nächtliche Unruhe wieder umprogrammieren können.

Vor uns liegt viel Arbeit, aber es lohnt sich. 

Der neue Tag
 

1. Aufstehen

Stehen Sie immer um die gleiche Zeit auf. Verzichten Sie dabei auf die Schlummerfunktion des Weckers. Unabhängig davon, ob Sie gut oder schlecht geschlafen haben, ob es Ihr wohlverdientes Wochenende oder langersehnter Urlaub ist. Denken Sie daran, dass für Erwachsene im Durchschnitt acht Stunden Schlaf ausreichend sind. Zehn Stunden wären evtl. sogar schädlich (oberflächlicher Schlaf). Bleiben Sie höchstens zehn Minuten nach dem Aufwachen im Bett. Und vergessen Sie nicht: Wir geben den Takt an – wir schaffen den Rhythmus.

2. Tageslicht

Verbringen Sie den Tag im Licht. Dies ist für den Hell-Dunkel-Rhythmus enorm wichtig. Versuchen Sie mindestens 30 Minuten täglich, auch an einem regnerischen Tag, im Tageslicht zu sein. Es wirkt sich positiv auf die Bildung der Vorstufe von Melatonin aus.   

3. Mittagsschlaf

Mittagsschlaf ist nur etwas für kleine Kinder? Nein, auch Erwachsene können sich gern ein Mittagsschläfchen gönnen. Es ist jedoch wichtig, dass dadurch der nächtliche Schlaf nicht gestört wird. Deshalb sollte Ihre Mittagsruhe nicht länger als 30-45 Minuten (besser 20 Minuten) dauern und vor 14:00 Uhr stattfinden. Sollten Sie jedoch nachts schlecht einschlafen, dann ist der Mittagsschlaf kontraindiziert.

4. Essen

Essen Sie während des Tages Lebensmittel, die mehr Tryptophan enthalten, z.B. Reis, Tomaten, Mais, Hafer, Eier, Hartkäse und Fisch. Der Körper benötigt Tryptophan, um Melatonin und Serotonin zu bilden. Die Hülsenfrüchte sollen aufgrund ihrer blähenden Wirkung eher gemieden werden.

Verzichten Sie abends ebenso auf reichhaltige Mahlzeiten. Für Berufstätige ist es nicht immer realisierbar. Achten Sie deshalb darauf, dass zwischen dem Abendessen und dem Schlaf mindestens zwei Stunden liegen sollten.

Sie müssen nicht mit Hungergefühl ins Bett gehen. Gönnen Sie sich ruhig am späteren Abend eine kleine Mahlzeit, z. B. ein Stück Käse, eine Banane oder einen Apfel.

5. Getränke

Coffein in grünem und schwarzem Tee, Kaffee, Kakao, Cola sowie Schokolade erreicht in seiner stimulierenden Wirkung einen Peak in etwa vier Stunden. Versuchen Sie deshalb wenigstens 6-8 Stunden (besser 10 Stunden) auf den Verzehr der koffeinhaltigen Getränke und Lebensmittel zu verzichten. Wechseln Sie zum Beispiel zu Kamillentee, Tee mit Minze oder einem Glas warmer Milch mit etwas Honig.

Viele denken, dass Alkohol unseren Schlaf positiv beeinflussen. Das stimmt nicht. Die alkoholbedingte Schläfrigkeit hilft zwar oft beim Einschlafen, jedoch führt die nach bereits wenigen Stunden sinkende Alkoholkonzentration im Blut zu einem sehr oberflächlichen Schlaf. Daher sollten Sie bei anhaltender Schlafstörung mindestens drei Stunden vorm Schlafengehen auf Alkohol verzichten.

Übrigens hat auch Nikotin eine sehr stimulierende Wirkung, daher sollte dieser 1-2 Stunden vor dem geplanten Einschlafversuch ebenso unterlassen werden. Sollen Sie als Raucher nachts aufwachen, kommen Sie nicht auf die Idee mal eine schnell „durchzuziehen“.

6. Sport

Regelmäßige physische Belastungen beeinflussen positiv unser Schlafverhalten. Es muss gar nicht so viel sein, ein Spaziergang an der frischen Luft, zehn Minuten Gymnastik oder ein körperlich etwas belastendes Spiel (z.B. Fangen) mit Kindern ist ausreichend, am besten zwischen 17:00 und 20:00 Uhr. Größere physische Aktivitäten sollten jedoch ca. zwei Stunden vorm Schlafengehen beendet werden.

7. Vorbereitung auf den Schlaf

Lassen Sie etwa eine Stunde vor dem Schlaf den Tag ausklingen. Alles, was Sie heute nicht geschafft haben, holen Sie morgen ausgeschlafen in aller Ruhe nach.

Der Tag geht zu Ende. Jetzt soll alles langsamer und entspannter werden. Nehmen Sie sich 10 Minuten Zeit, um den Tag zu reflektieren. Was haben Sie heute geschafft, was möchten Sie morgen schaffen? Schließen Sie den Tag ab und freuen Sie sich auf den nächsten. Nehmen Sie Ihre Gedanken und Sorgen nicht ins Bett. Gehen Sie 1-2 Stunden vor dem Schlaf unter die Dusche oder nehmen Sie ein warmes Bad mit ätherischen Ölen wie z.B. Lavendel, Baldrian oder Hopfen. Lenken Sie sich mit einer kurzen Meditation, einem Buch oder mit 20 Minuten klassischer Musik ab. Sie haben diese Zeit heute verdient, für Sie selbst. Machen Sie das Licht aus, schließen Sie die Augen und spüren Sie wie Ihre Muskeln entspannen. Lassen Sie sich in das Land der Träume entführen.

8. Schlafzimmer

Das Schlafzimmer ist zum Schlafen da. Im Schlafzimmer wird nicht telefoniert, nicht gegessen, nicht gelesen. Auch das Philosophieren über das Leben gehört außerhalb der Schlafzimmerwände. Ebenso das Ausdiskutieren von Streitpunkten sollte in andere Räume verlagert werden. Denn negative, oft unbewusste, Emotionen und Assoziationen können die Qualität und die Tiefe Ihres Schlafes negativ beeinflussen. Sollten Sie nicht allein im Bett schlafen, ist es wichtig, dass Sie eine eigene Decke haben – weniger romantisch, aber gut für Ihren Schlaf.

Achten Sie auf die Raumgestaltung – warme, beruhigende Farbtöne sind gut. Die Raumtemperatur sollte 2-3 Grad niedriger sein als in anderen Räumen, optimal sind 17-19 Grad. Frische Luft ist ebenso wichtig, lüften Sie Ihr Schlafzimmer 20-30 Minuten vor dem Schlaf. Und selbstverständlich muss es dunkel und still sein – lichtdichte Vorhänge, kein Fernseher, kein Laptop, kein Smartphone. Um die nicht beeinflussbaren Geräusche zu mildern oder zu überlagern, könnten Sie zur Not zu Ohrstöpseln oder auch zum weißen Rauschen (White Noise) greifen. Dies könnte auch bei Tinnitus helfen.

9. Einschlafen

Die Schlafenszeit ist sehr individuell. Wenn möglich, sollten Sie jedoch vor 22-23 Uhr ins Bett gehen. Stellen Sie sich ruhig einen Wecker, der Ihnen die Zeit zum Schlafengehen signalisiert. Danach vergessen Sie bitte die Zeit und schauen nicht mehr auf die Uhr. Der Wecker wird Sie in der Früh rechtzeitig aus dem Bett holen.

Sollen Sie gefühlt in ca. 20-30 Minuten nicht einschlafen, werden Sie nicht panisch. Machen Sie einfach Ihre Augen zu, entspannen Sie sich (am besten in Rückenlage) und konzentrieren Sie sich auf Ihre Atmung. Sollten Sie in weiteren 20-30 Minuten nicht einschlafen können, stehen Sie einfach auf und verlassen Sie das Schlafzimmer. Beschäftigen Sie sich dann mit monotonen, beruhigenden Handlungen. Wenn Sie wieder schläfrig werden, dann gehen Sie ins Bett. Spätestens jetzt sollte Ihnen das Einschlafen gelingen.

 

Als Zusammenfassung merken Sie sich die 10-3-2-1-0-Regel von Craig Ballantyne:

10 – Stunden vor dem Schlaf: kein Coffein

3 – Stunden vor dem Schlaf: Kein Essen, kein Alkohol

2 – Stunden vor dem Schlaf: Feierabend

1 – Stunde vor dem Schlaf: Bildschirmverbot

0 – so oft dürfen Sie die Wecker-Schlummertaste drücken

 

Die Qualität Ihres Schlafes liegt zum größten Teil in Ihren Händen.

Wir wünschen Ihnen gute Nächte und fröhliche Tage!

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